Kann man die Augen trainieren, um besser und schärfer zu sehen?
Augenübungen als Verfahren zur „Wunderheilung“ der Sehkraft kommen und gehen. Im Internet preist immer irgendjemand lauthals ihre Vorteile an – ohne jedoch ihre Wirksamkeit zu belegen.
Normalerweise führen diese Programme – die oft behaupten, Brillen und Kontaktlinsen überflüssig zu machen – zu keinen nennenswerten oder nachhaltigen Verbesserungen der Sehkraft. Wenn Sie aufhören Ihre Brille zu tragen, weil Sie glauben, die Übungen hätten Ihre Sehkraft verbessert, können sie sogar Ihre Sicherheit gefährden.
Die Geschichte der Augenübungen
Augenübungen zur Verbesserung der Sehkraft gibt es seit den 1920er-Jahren. Damals entwickelte der amerikanische Arzt William Horatio Bates, MD ein Programm für Augenübungen, das als die Bates-Methode bekannt wurde.
Es konnte nie nachgewiesen werden, dass die Bates-Methode zu nennenswerten oder nachhaltigen Verbesserungen der Sehkraft führt. Manche der von Bates vorgeschlagenen Maßnahmen – so etwa das "Sonnen", bei dem man seine Augen direktem Sonnenlicht aussetzt und das "Handflächenverfahren", bei dem man seine geschlossenen Augen mit den Handflächen abdeckt – könnten Ihren Augen sogar schaden.
Wenn Sie Ihre Augen zum Beispiel mit geschlossenen Lidern direktem Sonnenlicht aussetzen, steigt Ihr Risiko, Sonnenschäden oder Hautkrebs an Ihren Augenlidern zu entwickeln. Laut der Skin Cancer Foundation sind 5 % bis 10 % aller Hautkrebserkrankungen Augenlidkrebs.
Und wenn Sie bei der Verwendung des Handflächenverfahrens direkten Druck auf Ihre geschlossenen Augen ausüben, kann das den Augeninnendruck kurzfristig erhöhen und Ihr Risiko steigern, ein Glaukom zu entwickeln.
Die meisten modernen Augenübungsprogramme zur Verbesserung der Sehkraft beruhen (zumindest teilweise) auf der Bates-Methode.
Manche Augenübungsprogramme empfehlen außerdem, sich selbst zu beteuern, dass die Sehkraft verbessert ist. So werden Sie vielleicht angewiesen, sich immer wieder zu sagen: „Ich sehe jeden Tag schärfer“ oder „Ich kann auch ohne meine Brille gut sehen“.
Selbsthilfe-Programme mit Augenübungen behaupten in der Regel, dass sie refraktive Fehler wie Kurzsichtigkeit, Hornhautverkrümmung und Alterssichtigkeit beheben können.
Bevor Sie Zeit oder Geld auf etwas verwenden, das Ihnen verspricht „Sie können Ihre Brille wegwerfen“, sollten Sie sich darüber im Klaren sein, dass es keine wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit solcher Programme gibt.
Tatsächlich wurden mehrere beliebte Augenübungsprogramme – darunter die relativ aktuelle „See Clearly“-Methode (ähnlich der Bates-Methode) – vom Markt genommen, da sie mit falschen Behauptungen über ihre Wirksamkeit geworben hatten.
Können Augenübungen zu Veränderungen an Ihren Augen führen?
Damit Sie die Behauptung, refraktive Fehler könnten durch eine, natürliche Verbesserung der Sehkraft“ behoben werden, besser bewerten können, müssen Sie die Augenanatomie und die Art und Weise, wie das Auge Licht bricht verstehen.
Meist sind Probleme mit der Form des Auges ursächlich für Fokussierungsfehler wie Kurzsichtigkeit, Weitsichtigkeit (Hyperopie) und Hornhautverkrümmung. Zur Erklärung:
Wenn der Augapfel zu kurz ist, sind Sie weitsichtig und können Objekte in Ihrer Nähe nicht scharf sehen. Denn dann liegt der Brennpunkt der Lichtstrahlen, die in Ihr Auge eindringen, jenseits Ihrer Netzhaut.
Wenn Ihr Augapfel zu lang ist, sind Sie kurzsichtig und der Brennpunkt der Lichtstrahlen erreicht Ihre Netzhaut erst gar nicht.
Wenn Sie eine Hornhautverkrümmung haben, hat Ihre Hornhaut (Kornea) eine unregelmäßige Form. Lichtstrahlen, die in Ihr Auge eindringen, brechen an verschiedenen Brennpunkten, was zu verschwommenem Sehen führt.
Eine weitere häufige Sehstörung, die Alterssichtigkeit, tritt im Laufe der Alterung auf, wenn die natürliche Linse Ihres Auges an Elastizität verliert. Dann kann sie sich nicht mehr richtig verformen, um Objekte in Ihrer Nähe zu fokussieren. Diese Beschwerden führen dazu, dass Ihre Nahsicht langsam verschwimmt. Alterssichtigkeit beginnt etwa ab einem Alter 40 Jahren.
Bei Augenübungen sollen Sie Ihre Augenmuskeln in der Regel auf und ab oder von Seite zu Seite bewegen sowie Objekte in verschiedenen Entfernungen fokussieren.
Wenn Sie also ein Augenübungsprogramm zur Verbesserung ihrer Sehkraft in Erwägung ziehen, sollten Sie sich folgende Fragen stellen:
Werden die Augenübungen dazu führen, dass sich die grundlegende Form Ihres Augapfels verändert, indem er kürzer oder länger wird?
Werden die Augenübungen dazu führen, dass sich die grundlegende Form Ihrer Hornhaut und der Winkel verändern, in dem Lichtstrahlen in Ihr Auge einfallen und gebündelt werden?
Wenn Sie eine Hornhautverkrümmung haben: Werden die Augenübungen dazu führen, dass sich die unregelmäßige Oberfläche Ihrer Augen irgendwie verändert?
Und wenn Sie alterssichtig sind: Werden die Augenübungen dazu führen, dass Ihre Augenlinse ihre jugendliche Flexibilität zurückgewinnt, die im Laufe des natürlichen Alterungsprozesses abgenommen hat?
Auch folgende Frage sollten Sie sich unbedingt stellen: Setzen Sie sich und andere Gefahren aus, weil Sie womöglich nicht so gut sehen, wie Sie glauben? Insbesondere beim Autofahren?
Funktionieren Augenübungen?
Eine kürzlich von All About Vision zusammengestellte und von Fachkollegen geprüfte Übersicht über den Stand der wissenschaftlichen und veröffentlichten Forschungsergebnisse konnte keine Belege dafür finden, dass Augenübungen die grundlegende Augenanatomie erheblich verändern oder eine Alterssichtigkeit beheben können. Letztere ereilt uns alle irgendwann.
Augenübungsprogramme liegen in einer Grauzone irgendwo zwischen der Medizinwissenschaft und Volksheilmitteln. Die meisten Augenärzte halten nichts von Augenübungsprogrammen, die versprechen, dass Sie danach „Ihre Brille wegwerfen können“. Es liegen keine wissenschaftlichen Belege für ihre Wirksamkeit vor.
Dennoch findet man diese von unbewiesen Versprechen befeuerten „Wunder“-Augenübungen überall im Internet. Und das Seite an Seite mit Verschwörungstheorien, dass Augenärzten die „Wahrheit“ zu den Vorteilen bewusst seien. Das würden sie ihren Patienten aber nicht verraten, weil sie ihnen dann keine Brillen, Kontaktlinsen und Augenoperationen mehr verkaufen könnten.
Solche Behauptungen zeigen, wie wichtig es ist, die Glaubwürdigkeit von Quellen zu prüfen, wenn Sie online nach zuverlässigen Gesundheitsinformationen suchen.
Bevor Sie Zeit und Geld auf Selbsthilfeprogramme zur Verbesserung Ihrer Sehkraft verwenden, sollten Sie den Rat eines Augenarztes Ihres Vertrauens über die Wirksamkeit und Sicherheit des Augenübungsprogramms einholen, das Sie in Erwägung ziehen.
Mögliche Vorteile von Augenübungen
Obwohl es keine Belege dafür gibt, dass Augenübungen die Sehkraft verbessern, kann es sein, dass manche „Übungen“ die Augen entspannen. Diese fühlen sich dann besser an, zudem wird das Risiko einer digitalen Augenüberlastung reduziert.
Tatsächlich wird die sogenannte „20-20-20-Regel“ oft von Augenärzten und Optikern empfohlen. Sie ist ganz einfach und kann ohne nachteilige Auswirkungen durchgeführt werden.
Und so funktioniert sie: Schauen Sie alle 20 Minuten mindestens 20 Sekunden lang vom Bildschirm Ihres Computers oder Smartphones weg und richten Sie Ihren Blick auf ein Objekt, das mindestens 6 Meter (20 Fuß) von Ihnen entfernt ist.
Diese „Augenübung“ entlastet den Fokussiermuskel im Auge und die Muskeln, die für die Augenausrichtung verantwortlich sind. Diese werden beim Fokussieren nahe gelegener Objekte stärker belastet als bei Objekten in weiter Entfernung. Die Übung regt außerdem zum Blinzeln an, was trockene Augen lindern kann. Dieses Symptom kann bei längerer Arbeit im Nahseh-Bereich und am Bildschirm auftreten.
Es ist möglich, dass weitere Augenübungen – einschließlich mancher der im Rahmen der Bates-Methode empfohlenen – ähnliche entlastende und lindernde Wirkungen haben können, wenn sie als Unterbrechung von längeren Bildschirmzeiten durchgeführt werden.
Augenübungen im Vergleich zur Sehtherapie
Ein letzter Hinweis: Selbsthilfeprogramme mit Augenübungen zur Verbesserung der Sehkraft sind nicht mit überwachten Programmen zur Sehtherapie zu vergleichen. Solche Therapien werden von Augenärzten verschrieben, um bestimmte Probleme bei der Augenausrichtung und andere binokulare Sehstörungen zu korrigieren.
Zwar wird die Sehtherapie manchmal (fälschlicherweise) als „Augenübung“ bezeichnet, sie findet jedoch unter Aufsicht eines Augenarztes statt und umfasst besondere Aktivitäten, die zur Behebung von Sehstörungen wie Schwachsichtigkeit und Schielen beitragen. Zudem können die dynamischen visuellen Fähigkeiten für eine bessere Sehkraft beim Sport gefördert werden.
Die Sicherheit und Wirksamkeit diverser verordneter "Übungen" zur Sehtherapie wurden durch veröffentliche Forschungsarbeiten bestätigt. Der Zweck einer Sehtherapie besteht jedoch nicht darin, die Notwendigkeit einer Sehkorrektur zu reduzieren oder ganz zu beseitigen.
Seite veröffentlicht in Samstag, 4. September 2021